Vielfalt zeigen,
Bildung erleben

Schöne neue Cyberwelt?

Heutzutage sind Computerspiele in beinahe alle Bereiche unseres Lebens vorgedrungen. Sie stehen uns fast überall und jederzeit zur Verfügung. Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe spielen Menschen sie auf dem gesamten Globus. Die Arten der Spiele sind unüberschaubar, sie reichen von brutalen Kriegsspielen bis hin zu philosophischen Erzählformen. Dabei nimmt die Zahl täglich zu, ihre Technik wird immer ausgefeilter, so dass die Grenzen zwischen der realen und der virtuellen Welt verschwimmen.
Deshalb steigt auch das Interesse der Forschung an deren Untersuchung. Um Computerspiele zu analysieren, nimmt die Spielewissenschaft gerne Bezug auf den niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga und sein 1938 erschienenes Buch homo ludens. Im Gegensatz zum homo sapiens, dem wissenden Menschen und dem homo oeconomicus, dem wirtschaftlich rationalen Menschen sieht Huizinga den homo ludens, den spielenden Menschen, als den eigentlichen Erschaffer der menschlichen Kultur. Dabei beschränkt er das Spielen nicht auf das reine Spiel, sondern er sieht Spielprinzipien in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Bezugnehmend auf die Theorie von Huizinga geht die Ausstellung »Schöne Neue Cyberwelt?« der Frage nach, was ist das für eine Kultur, die durch Computerspiele erschaffen wird? Welchen Weg hat die Menschheit dabei beschritten? Machen Computerspiele süchtig und gewalttätig, führen sie zu Vereinsamung, zu Bewegungsarmut, zur Entfremdung von der Natur, zur Beeinflussung oder gar Unterdrückung? Oder vermitteln sie wesentliche Fähigkeiten, machen sie klüger, sozialer, erleichtern sie das Lernen, helfen sie Krankheiten heilen, verbinden sie Menschen weltweit und eröffnen neue Horizonte?


Um auf diese Fragen Antworten zu geben, nimmt die Ausstellung die Besucherinnen und Besucher mit auf eine Zeitreise von den Anfängen der Computerspiele bis zur aktuellsten Technik. Sie analysiert Inhalte, Rollenbilder, Werte der Computerspiele und untersucht ihren Stellenwert in der Kunst, der Wirtschaft, der Politik und der Bildung. Zugleich wagt sie einen Blick voraus, indem sie Bücher vorstellt, die sich mit Computerspielen in der Zukunft beschäftigen. Ziel der Ausstellung ist es, eine Diskussion über die Zukunft der Spiele anzuregen, mit den Besuchern virtuell und vor allem real in den Dialog zu treten. Deshalb freuen wir uns auf zahlreiche interessierte Besucherinnen und Besucher.

01 Vom Spielautomaten zur virtuellen Realität

In den 1970er Jahren standen in den USA in Spielhallen, am Imbiss um die Ecke, in Kaufhäusern, Supermarkteingängen, Kinos und Schwimmhallen Tausende von Glücksspielautomaten. Für kleine Summen gab es für kurze Zeit intensiven Spielgenuss. Durch das Prinzip des ständigen Einwerfens von Münzen ließen sich für die Betreiber große Summen an Geld verdienen.
1972 veröffentlichte Atari als erster Videospiele-Hersteller Spiele auf den Automaten und erzielte damit riesige Gewinne. Fast zur gleichen Zeit kamen die ersten Spielekonsolen für zu Hause heraus, die sich dann Ende der 1980er Jahre als Hauptmedium zum Spielen von Videospielen durchsetzten.
Anfang der 1990er Jahre verbreiteten sich die digitalen Spiele rasant. Der Einsatz größerer Investitionen ermöglichte die Entwicklung und die Einführung von 3D Graphik. Schnellere Prozessoren, der Übergang zu Datenträgern mit großen Datenmengen und der Multiplayer-Modus durch die LAN-Verbindung förderten die Beliebtheit der Computerspiele. Anfang der 1980er Jahre gab es die ersten Turniere mit Computerspielen, die heute von einer riesigen Anzahl von Fans begleitet werden.
Bei Spielen, bei denen Computer und Spieler gegeneinander spielen, ist der Computer zu einem fast unbezwingbarer Gegner geworden. Bei Go besiegt der Rechner jeden noch so guten Spieler sogar spätestens in der 50sten Spielrunde. Viele Spiele werden deshalb so programmiert, dass sie sich an die Fähigkeiten des Spielers anpassen.
Heutzutage gilt die virtuelle Realität (VR) als eine vielversprechende Zukunftstechnologie in der Spielbranche. So sind Spieleentwickler zunehmend in der Lage, künstliche Welten zu erschaffen, in denen die Spielerinnen und Spieler alle nur denkbaren Möglichkeiten verwirklichen können. Leicht erschwingliche VR-Brillen vermitteln den Eindruck, sich körperlich im Spiel zu befinden.

Glossar
Multiplayer-Modus: Die Spielerinnen und Spieler spielen hier mit- oder gegeneinander. Das Gegenstück ist der Einzelspielermodus (engl. Singleplayer).
Virtuelle Realität (VR): Interaktionsumgebung, die 3D-Darstellung und direkte Interaktion im Raum ermöglicht den Nutzerinnen und Nutzern, in eine simulierte Welt einzutauchen.
Spieleentwickler (Developer): Das ist der Spielhersteller, der sich die Spiele ausdenkt, entwickelt und programmiert.

Pong, 1972 – Das erste weltweit bekannte Computerspiel

Entwickler: Allan Alcorne
Publisher: Atari
Genre: Geschicklichkeit
Freigabe: nicht geprüft

Die ersten kommerziellen Computerspiele waren sehr kompliziert, deshalb beauftragte der Gründer der Computerspielefirma Atari, Nolan Bushnell, seinen Chefdesigner Allan Alcorne, ein selbsterklärendes Tischtennisspiel zu entwickeln. Pong liegt ein einfaches Spieleprinzip zugrunde: Man bewegt einen Punkt, den Ball, auf dem Bildschirm hin und her. Zugleich steuert man einen senkrechten Strich, den Schläger, den man mit einem Drehregler nach oben und unten verschieben kann. Verpasst man den Ball, erhält der Gegner einen Punkt. Verschiedene Schwierigkeitsgrade ergeben sich durch die Wahl der Spielgeschwindigkeit und des Ausfallwinkels des Balles.
Pong war jedoch nicht das erste Tischtennisspiel am Rechner. Die ersten Videospiele entwickelten die Forschungsinstitute des Militärs in den USA. Im Zeitalter des Kalten Krieges ging es darum, über die neueste und beste Technik zu verfügen. Die Gründe, diese Spiele zu erfinden, waren vielfältig: Die einen machten es zum Zeitvertreib, die anderen wollten strategische und militärische Entscheidungen am Rechner simulieren und wiederum andere wollten der Öffentlichkeit ihre Forschungsergebnisse verständlich darlegen. Zu diesen gehörte der Physiker William Higinbotham, der das computergesteuerte Tischtennisspiel, Tennis for Two, am Tag der Offenen Tür 1958 hunderten begeisterten Besuchern vorstellte.
Als 1972 Atari dann Pong auf Spieleautomaten veröffentlichte, fand es rasch zahlreiche Fans und verbreitete sich schnell in den USA, Europa und der ganzen Welt. Heute gilt Pong als Klassiker und kann im Browser nachempfunden werden.

Glossar
Atari (jap.): Im Brettspiel Go bedeutet dies Schachmatt.
Pong: Das Wort ist eine Anspielung auf Ping-Pong. Da Ping-Pong schon besetzt war, entschied sich Atari für den Namen Pong.